Schutz vor gefährlichen Schritt- und Berührungsspannungen

14.07.2023 00:01 Uhr

Immer häufiger treten extreme Wetterlagen auf. Schwere Gewitter mit energiereichen Blitzen sind eine Folge. Solche Naturgewalten können zu folgenschweren Bränden führen und stellen eine Bedrohung für den Menschen dar. Auch wenn Blitze sich nicht verhindern lassen, so kann dennoch technisch, organisatorisch und durch richtiges Verhalten viel getan werden, um Menschen, Tiere und Sachwerte zu schützen.

Der äußere Blitzschutz ist eine technische Maßnahme (Brandschutz). Der Blitz wird »eingefangen«, der Blitzstrom abgeleitet und in der Erde verteilt. Aber eben nicht nur durch den Direkteinschlag in ein Gebäude ohne äußeren Blitzschutz können Gefahren entstehen. Auch bei der kontrollierten Ableitung der Blitzströme in die Erde durch ein Blitzschutzsystem, gilt es einiges zu beachten. Der äußere Blitzschutz schützt Personen und Sachwerte im Gebäude vor den Auswirkungen des Blitzes, und dennoch können zum Teil lebensgefährliche Situationen für Menschen außerhalb des Gebäudes entstehen. Und zwar dann, wenn diese Personen sich während eines Gewitters in der Nähe einer Ableitung befinden. Dies ist speziell z. B. bei überdachten Außenbereichen öffentlicher Gebäude zu berücksichtigen, wie beispielsweise bei Kindergärten oder Schulen. Deshalb ist hier bei der Planung und Montage von Blitzschutzsystemen insbesondere im Bereich der Ableitungen auch der Schritt- und Berührungsspannungsschutz zu beachten.

Normative Erklärung

Um den Brand- und Personenschutz sicherzustellen, werden Blitzschutzsysteme nach DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3) [1] errichtet. In dieser Norm wird im Kapitel 8 auf die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Verletzungen von Personen infolge von Berührungs- und Schrittspannungen eingegangen und erläutert, dass es unter bestimmten Umständen in der Nähe von Ableitungen lebensgefährlich für Personen sein kann. Um hier entgegenzuwirken, zählt die Norm verschiedene Maßnahmen auf, wie ein Sicherheitsabstand von 3 m zu Ableitungen, eine Isolierung des Bodens, die Isolation der Ableitung, das Absperren des Bereiches oder eine Potentialsteuerung durch eine vermaschte Erdungsanlage.

Das zuständige DKE-Komitee K 251 »Blitzschutzsysteme und Blitzschutzbauteile« hat mehrere Hinweise und Verlautbarungen zum Thema Schritt- und Berührungsspannungsschutz herausgegeben [2]. Es wird darauf hingewiesen, dass ein Blitzschutzsystem von mindestens zehn Ableitungen die Gefahr von Berührungsspannungen nicht genügend verringert, eine Kiesschicht mit 15 cm Tiefe keine ausreichende Isolation darstellt und sich die Berührungsspannung aus Induktionsspannung und Standortspannung addiert. Aus der Verlautbarung des DKE-Komitee K 251 »Blitzschutzsysteme und Blitzschutzbauteile« vom Dezember 2021 »Berührungsschutz bei Blitzeinschlägen«, welche als derzeitiger Stand der Technik anzusehen ist, geht hervor, dass zum Realisieren eines ganzheitlichen Berührungsschutzes immer die Induktionsspannung und die Standortspannung bewertet werden müssen. Des Weiteren ist unabhängig dieser beiden Spannungen zusätzlich die Schrittspannung, welche mit beiden Beinen außerhalb des Gebäudes abgegriffen wird, zu betrachten, da diese eine weitere zusätzliche Gefährdung für den Menschen darstellt.

Gefahren und Entstehung

Ein Blitzereignis besteht aus mehreren Teil­impulsen mit unterschiedlichen Verläufen und Parametern. Daher müssen diese separat betrachtet, analysiert und bezüglich des möglichen Gefahrenpotenzials für Mensch und ggf. Lebewesen bewertet werden. Der erste positive Blitzimpuls mit der Kurvenform 10/350  µs und einem normativen maximalen Scheitelwert von 100kA bei Blitzschutzklasse III wirkt sich vor allem nachteilig auf die Standortspannung und Schrittspannung aus. Durch den hohen Strom entsteht im Boden ein Spannungstrichter, der sich gemäß dem Erdausbreitungswiderstand abbaut (Bild 1).

Hier kann es in direkter Nähe zur Ableitung zu Potentialunterschieden von mehreren 100kV kommen, welche sich einerseits mit der Induktionsspannung zur Berührungsspannung aufaddiert und andererseits als Schrittspannung mit beiden Füßen abgegriffen wird. Die Standortspannung zwischen Erdeinführung und der Position des Menschen, welcher die Ableitung berührt, muss immer mitbetrachtet werden, wenn ein ganzheitlicher Berührungsschutz erstellt werden soll.

© Dehn

Eine weitere Bedrohung für den Menschen ist die bereits erwähnte Induktionsspannung, die (Bild 2) unabhängig von der Standortspannung durch die schnelle Strom­änderung beim Berühren von Ableitungen induziert wird. Hier geht die größte Gefahr vom ersten negativen Blitzstrom (1/200µs) und dem Folgestoßstrom (0,25/100µs) aus. Es entstehen kurzzeitig Spannungen im dreistelligen kV-Bereich, allerdings nur für die Dauer der Stromänderung, also maximal 1µs lang. Diese Spannungen können lebensgefährliche Ströme durch das Herz von Personen, welche die Ableitung berühren, zum Fließen bringen. Herzkammerflimmern oder Herzstillstände können die Folge sein. Um die Induktionswirkung zu unterbinden, ist eine Isolation aufzubringen, welche hochspannungsfest ist und einen gefährlichen Stromfluss durch den menschlichen Körper verhindert.

Verschleppte Berührungsspannung

Unabhängig von den zuvor genannten Gefahren ist beim Personenschutz die verschleppte Berührungsspannung zu betrachten. Durch den Anschluss an die Erdungs­anlage nehmen alle elektrisch leitenden und geerdeten Teile den gleichen Spannungspegel an, was auch das Ziel eines funktionierenden Potentialausgleichs ist. Durch die Anhebung des Potentials bei Blitzeinschlag kommt es daher im Inneren des gesamten Gebäudes zu keinen gefährlichen Spannungsunterschieden und somit zu keiner Gefahr für den Menschen. Ist der Potentialausgleich korrekt hergestellt und der Trennungsabstand (Näherungen) eingehalten, so entstehen keine Überschläge und damit auch keine Funkenbildung. Im Außenbereich kann es allerdings zu großen Spannungsunterschieden kommen. Diese entstehen beispielsweise zwischen geerdeten, elektrisch leitenden, im Einschlagsfall hochspannungsführenden Fallrohren und dem Erdboden, der einen undefinierten Spannungspegel gemäß dem Verlauf des Spannungstrichter hat.

Über die genauen Grenzwerte für Schritt- und Berührungsspannungen gibt es noch keine eindeutigen normativen Aussagen. Erkennbar sind jedoch Schrittspannungsgrenzwerte in Bereichen zwischen 25kV und 50kV. Im Falle der Berührungsspannung werden etwa 25-fach geringere Werte diskutiert (12kV), da hier der gefährliche Körperstrom von der Hand direkt über das Herz zu den Füßen fließt und nicht nur zwischen beiden Füßen [36].

Geeignete Maßnahmen

Zuerst muss bei einem Blitzschutzsystem beurteilt und analysiert werden, ob und wie durch die Positionierung der Ableitungen Menschen beim Blitzeinschlag einer Gefahr oder einem erhöhten Risiko ausgesetzt werden. Hier spielen verschiedene Gesichtspunkte, wie Aufenthaltsdauer, Unterstellmöglichkeit oder Blitzschutzklasse, eine Rolle. Stellt das Resultat der Risiko­beurteilung eine Gefährdung für den Menschen fest, gibt es mehrere Lösungswege diese Gefahren in den Griff zu bekommen und auf ein annehmbares Maß zu reduzieren.

Als erstes sollte bereits in der Planungsphase das Thema Schritt- und Berührungsspannungsschutz beachtet werden. So ist es mit BIM-fähigen Planungssoftwares wie beispielsweise »Dehnplan« möglich, ganze Gebäude oder Komplexe abzubilden und eine detaillierte und genaue Platzierung aller Ableitungen, unter Einhaltung des Schutzraumes sowie des Trennungsabstandes, durchzuführen. Durch das 3D-Modell des Bauprojektes sind Eingänge und andere, von Personen hochfrequentierte Bereiche, erkennbar. Blitzstromführende Leitungen können so bereits bei der Planung an andere Positionen der Gebäudewand verlegt werden. Sollte dies aus optischen oder technischen Gründen nicht möglich sein, so besteht die Möglichkeit bauliche Maßnahmen zu treffen, um ­einen Zugang zur Ableitung zu verhindern. So können gegebenenfalls Schritt- und Berührungsspannungen für Personen gänzlich vermieden werden.

Bei Bauwerken aus Stahlbeton ist dies bevorzugt durch Verwendung der Bausub­stanz, als natürlichen Bestandteil der Ableitung, zu realisieren (elektrisch sicher durchverbundene, blitzstromtragfähige Bewehrung). Sollte dies nicht der Fall sein, gibt es verschiedene technische Lösungen und geprüfte Produkte, um diese Problematik in den Griff zu bekommen. Bei den Themen Standortspannung, Schrittspannung und verschleppte Berührungsspannung gilt es Potentialunterschiede auf ein annehmbares Maß zu reduzieren. Dies ist möglich, wenn im Boden eine Potentialsteuerung durch ein vermaschtes Erdungssystem in Kombina­tion mit Gittermatten zur Begrenzung der Schritt- und Standortspannung eingebaut werden, um den Spannungstrichter abzuflachen.

Die Gittermatten (Maschenweite von 0,25mx0,25m) werden maximal 0,25m tief im Boden eingebettet, niederohmig miteinander verbunden, auf kürzestem Weg an die Erdungsanlage mittels Anschlussfahne angeschlossen und im Radius von 3m um die Ableitung verlegt. Damit im Randbereich keine großen Spannungsdifferenzen entstehen, sollte hier die genannte Potentialsteuerung gemäß DIN EN 62305-3 Bbl 1 (VDE 0185-305-3 Bbl 1):2012-10 erfolgen [7] (Bild 3). Die Norm empfiehlt hier mehrere Ring­erder, welche in regelmäßigen Abständen zueinander immer tiefer verlegt werden, um die Blitzhochspannung behutsam und gleichmäßig abzubauen und die Gefahr der Potentialunterschiede auf ein zumutbares Restrisiko zu minimieren. Im VDE-ABB- Merkblatt »Blitzschutz von Schutzhütten« ist das Thema Potentialsteuerung (hier mittels Gittermatten) anschaulich beschrieben [8].

Realisierung der gewählten Maßnahmen

Beim Auslegen und Planen einer solchen Erdungsanlage in den gefährdeten Außenbereichen und zur Beurteilung der zulässigen Spannungshöchstwerte ist es ratsam, Erdungssimulationen durchzuführen. Um eine verschleppte Berührungsspannung auszuschließen, können zusätzlich geerdete Metallteile, wie beispielsweise Regenfallrohre, durch Kunststoffrohre ausgetauscht werden oder eine Potentialsteuerung wie beschrieben durchgeführt werden. Bleibt die Gefahr der Berührungsspannung, so ist es eine normative Lösung, wenn eine Näherung im Umkreis von 3m zur Ableitung und die Berührung dieser verhindert wird. Ist dies nicht der Fall, so muss gegebenenfalls durch Warnhinweise eine Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Berührung zuverlässig erreicht werden oder ein Übergangswiderstand der oberflächlichen Bodenschichten mit größer 100kΩ sichergestellt werden, was in der Praxis messtechnisch nur mit enormem Aufwand abzubilden ist. Dies kann in der Praxis z.B. mit einer Bitumenschicht (Asphaltbelag) von min. 5 cm Dicke mit Gefälle nach außen und vom Gebäude weg errichtet – ohne Wasserpfützen umgesetzt werden. Ggf. kann dies auch durch einen vor Regen geschützten, aufgeständerten und unterlüfteten Hartholzboden erfolgen [8].

Als technische Lösung wird in der Norm das Anbringen einer mindestens 3 mm starken Isolierung aus vernetztem Polyethylen empfohlen. Diese sollte sich im sogenannten Handbereich mindestens jedoch 3 m über Bodenniveau erstrecken, eine Stoßspannungsfestigkeit von 100 kV (1,2 / 50 µs) aufweisen und Gleitüberschläge verhindern. Eine passende Lösung für diesen Anwendungsfall ist die unter Beregnung nach IEC 60060-1 [9] geprüfte CUI-Leitung (zur Vermeidung von Berührungsspannung an der Ableitung (Bild 4). Alternativ dazu können entsprechend der Verlautbarung des DKE »Berührungsschutz bei Blitzeinschlägen« vom Dezember 2021 auch isolierte Ableitungen, wie beispielsweise die »HVI light plus« und »HVI Leitung grau«, welche nachweislich bei einer abgeschnittenen Stoßspannungsbelastung überschlags- und durchschlagsfrei und somit technisch gleichwertig sind, verwendet werden.

© Dehn

Fazit

Zahlreiche Untersuchungen und Simulationen zeigen, dass Schritt- und Berührungsspannungsschutz im Einklang stehen und daher auch in der Praxis nicht separat betrachtet werden dürfen. Mit der Verlautbarung »Berührungsschutz bei Blitzeinschlägen« des DKE-Komitee K 251 vom Dezember 2021 wurde der Stand der Technik diesbezüglich verdeutlicht. Darin ist festgehalten, dass ein wirksamer Berührungsschutz für den Menschen ohne Schritt- und Standortspannungssteuerung nicht realisierbar ist.

Daher führen bei beispielsweise überdachten Eingangsbereichen von öffentlichen Gebäuden nur der Einsatz von geprüften Ableitungen mit nachweislichem Berührungsschutz – zusammen mit einer gezielten Potentialsteuerung,  in Kombination mit Gittermatten zum Schutz vor gefährlichen Schritt- und Standortspannungen – zum Erfolg.

Für Schnellleser

Ein Blitzereignis kann kurzzeitig zu Poten­tialunterschieden im Aktionsbereich von Menschen führen, die es zu vermeiden gilt

 Geeignete schützende Maßnahmen werden unter der Bezeichnung Schritt- und Berührungsspannungsschutz zusammengefasst und in diesem Beitrag näher erläutert

Quellenangaben

[1] DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3), Blitzschutz – Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen, Berlin: Beuth Verlag, 2012

[2] Verlautbarungen zum Thema Schritt- und Berührungsspannungsschutz des DKE-Komitee K 251 »Blitzschutzsysteme und Blitzschutzbauteile«

[3] Suchanek, S.: Blitzschutzerdungsanlagen unter besonderer Berücksichtigung der Schrittspannung, Dissertation, Darmstadt, 2014

[4] Rock, M., Zischank, W., Kupfer, J.: »Grenzwerte für Schritt- und Berührungsspannungen an Blitzschutz-Ableitungseinrichtungen und -Erdungsanlagen,« in 11. VDE/ABB-  Blitzschutztagung, Neu-Ulm, 2015

[5] Rock, M.: Maschenweiten von Metallgittern bei Bauten mit kleinen Grundflächen für zulässige Schrittspannungen bei Blitzströmen. 12. VDE ABB-Blitzschutztagung, Aschaffenburg 2017

[6] Hannig, M., Brocke, R.: »Numerical Simulation of Permissible Touch Voltages in Case of a Lightning Incidence« in 36. ICLP, Cape Town, 2022

[7] DIN EN 62305-3 Bbl 1 (VDE 0185-305-3 Bbl 1):2012-10, Blitzschutz – Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen – Beiblatt 1: Zusätzliche Informationen zur Anwendung der DIN EN 62305-3 (VDE 0185-305-3)

[8] VDE ABB Merkblatt »Blitzschutz von Schutzhütten«, www.vde.com/de

[9] IEC 60060-1:2010: High-voltage test techniques – Part 1: General definitions and test requirements (DIN EN 60060-1 VDE 0432-1:2011-10: Hochspannungs-Prüftechnik; Teil 1: Allgemeine Begriffe und Prüfbedingungen)

QUELLE:

de – das elektrohandwerk

AUTOREN:

Florian Spitz, Produktmanager Erdung und Blitzschutz, Dehn SE
Dr.- Ing. Martin Hannig, Senior Engineering Specialist, Dehn SE