Das Stromnetz unterstützt eine zuverlässige Energieversorgung, während der Anteil erneuerbarer Energien und elektrifizierter Fahrzeuge stetig wächst. Elektrofahrzeuge können künftig nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch speichern und ins Netz zurückspeisen. Der hier beschriebene VDE-FNN-Hinweis zum bidirektionalen Laden zeigt neue Möglichkeiten für Endkunden und die Netzstabilität auf.
Für die Umsetzung müssen Standards und Regularien entwickelt werden. Die Projektgruppe »Netzintegration Elektromobilität« des VDE FNN arbeitet an diesen Vorgaben, um die Integration der bidirektionalen Ladetechnologie voranzutreiben und deren Potenziale voll auszuschöpfen.
Bidirektionales Laden wurde bereits in Pilotprojekten getestet, jedoch fehlen noch internationale Standards für die Rückspeisung. Derzeit sind die meisten Ladeinfrastrukturen und Elektrofahrzeuge in Europa nicht rückspeisefähig. Für eine Markteinführung sind Normung und regulatorische Rahmenbedingungen notwendig. Während der § 14a EnWG das netzorientierte Laden regelt, fehlt ein vergleichbarer Rahmen für die Rückspeisung. Die Ausgestaltung des § 14 c EnWG ist noch offen. Künftige europäische Regelungen, wie der Network Code für rückspeisefähige Systeme, werden voraussichtlich deutlichen Einfluss auf die technischen Anforderungen ausüben.
Bidirektionales Laden hat Potenzial
Das Flexibilitätspotenzial für bidirektionales Laden basiert auf der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen (EVs). Die Bundesregierung strebt an, bis 2030 15 Millionen EVs (PHEV und BEV) im Bestand zu haben. Wenn die entsprechenden Normen und Standards für bidirektionale Ladesysteme rechtzeitig geschaffen werden, könnten diese Fahrzeuge als rückspeisefähige Systemverbunde genutzt werden. Es gibt jedoch mehrere limitierende Faktoren: Nicht alle Fahrzeuge sind rückspeisefähig, einige sind nicht an das Netz angeschlossen, und technische Einschränkungen wie die Alterung der Batterien spielen eine Rolle (Bild 1).
Für die Berechnung des Flexibilitätspotenzials wird eine durchschnittliche Batteriekapazität von 60 kWh und eine Rückspeiseleistung von 10 kW pro Fahrzeug angenommen. Theoretisch könnten 15 Millionen Elektrofahrzeuge 150 GW elektrischer Leistung und 540 GWh Energie liefern. Selbst ein kleiner Anteil von 10 % rückspeisefähiger Fahrzeuge könnte die Speicherkapazität der deutschen Pumpspeicherkraftwerke erreichen oder deren Rückspeiseleistung übertreffen (Bild 2).
Es muss jedoch beachtet werden, dass das Potenzial nur dann genutzt werden kann, wenn die Fahrzeuge regelmäßig an das Stromnetz angeschlossen sind. Regionale Unterschiede in der Verbreitung von EVs sowie Einschränkungen der Gebäudeinstallation und des lokalen Netzzustands beeinflussen ebenfalls die tatsächliche Nutzung. Abschließend hängt das Flexibilitätspotenzial von geeigneten Anreizsystemen und regulatorischen Rahmenbedingungen ab, welche die Teilnahmequote der Fahrzeugnutzer erhöhen könnten.
Möglichkeiten für bidirektionales Laden
Bidirektionales Laden ermöglicht es EVs elektrische Energie ins Netz zurückzuspeisen (Bild 3). Es gibt gemäß Abs. 5 des VDE-FNN-Hinweises hierfür folgende vier relevante Anwendungsfälle:
- Vehicle to Load (V2L): Das Elektrofahrzeug dient als mobile Energiequelle für elektrische Geräte wie Elektrogrills oder Gartengeräte. In diesem Fall speist das Fahrzeug jedoch nicht ins Stromnetz zurück und hat somit keine Auswirkungen auf das Netz.
- Vehicle to Home (V2H, Inselbetrieb): Hier dient das Elektrofahrzeug zur Stromversorgung eines vom Stromnetz getrennten Gebäudes. Diese Lösung wird vor allem in Regionen mit häufigen Stromausfällen genutzt, wie es nach dem Fukushima-Vorfall in Japan der Fall war. Da das Fahrzeug vom Netz getrennt ist, hat dieser Anwendungsfall keine direkte Rückwirkung auf das Stromnetz.
- Vehicle to Home (V2H, Netzparallelbetrieb): Das Elektrofahrzeug wird als Zwischenspeicher in der Kundenanlage genutzt und kann die selbst erzeugte Energie, z. B. aus PV-Anlagen, speichern und bei Bedarf wieder abgeben. Die Anlage bleibt jedoch mit dem Stromnetz verbunden, sodass die Rückspeisung Anforderungen wie Netzsicherheit und Regelungskonzepten genügen muss. Dies entlastet das Netz, da der Energiebezug und die Einspeisung nicht direkt über das Netz geführt werden.
- Vehicle to Grid (V2G): In diesem Fall wird das Elektrofahrzeug mit dem Stromnetz verbunden und speist Energie ins Netz zurück. Die Rückspeisung kann marktorientiert (in Abhängigkeit von Energiepreisen) oder netzorientiert (zur Unterstützung der Netzstabilität) erfolgen. Der Einfluss eines einzelnen Fahrzeugs ist gering, daher werden viele Fahrzeuge meist durch Aggregatoren zusammengefasst, um eine signifikante Wirkung zu erzielen.
Die Anwendungsfälle V2H im Netzparallelbetrieb und V2G haben direkte Auswirkungen auf das Stromnetz und werden daher in den weiteren Abschnitten des VDE-FNN-Hinweises behandelt.
Rückspeisen im Netzparallelbetrieb
Für das bidirektionale Laden im Netzparallelbetrieb müssen sowohl die Ladeeinrichtung als auch das Fahrzeug bestimmte technische Anforderungen erfüllen (Abschnitt 6). Diese Anforderungen sind in den Technischen Anschlussregeln (TAR) für Erzeugungsanlagen (EZA) festgelegt. Je nach Netzanschlussebene gelten unterschiedliche TAR:
- Niederspannung: VDE-AR-N 4100 und VDE-AR-N 4105
- Mittelspannung: VDE-AR-N 4110
- Hochspannung: VDE-AR-N 4120.
Diese Technischen Anschlussregeln befinden sich derzeit in der Überarbeitung und werden voraussichtlich 2025 in aktualisierter Form veröffentlicht. Insbesondere die TAR für Niederspannungs- und Mittelspannungsnetze müssen eingehalten werden, um einen sicheren und störungsfreien Betrieb der Anlagen zu gewährleisten.
Die Rückspeisung kann über Wechselstrom (AC) oder Gleichstrom (DC) erfolgen (Bild 4). AC-Rückspeisung erfordert ein Zusammenspiel zwischen der Ladeeinrichtung und dem Fahrzeug, während bei der DC-Rückspeisung die gesamte Regelung über die Ladeeinrichtung läuft. Dies ähnelt der Funktionsweise von PV-Anlagen. Beide Ansätze erfordern eine Anpassung der Ladeinfrastruktur, da diese Rückspeisung nicht von den herkömmlichen Ladesystemen unterstützt wird.
Um eine Rückspeisung mit AC oder DC zu ermöglichen, müssen Ladeeinrichtungen mit den entsprechenden technischen Funktionen ausgestattet sein, darunter Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz), Synchronisation mit dem Netz und Netzstützung bei Spannungsschwankungen. Diese Anforderungen werden durch Produktnormen wie die IEC 61851-1 und IEC 61851-23 sowie durch die Technischen Anschlussregeln definiert.
Ladekommunikation und Steuerung von Ladevorgängen
Die Steuerung und Kommunikation von Ladevorgängen erfolgt über digitale Schnittstellen (siehe Abschnitt 7). Für bidirektionales Laden gelten die gleichen Kommunikationsanforderungen wie für das einseitige Laden. Dabei kommt die digitale Datenschnittstelle zum Einsatz, die über das »VDE-FNN-Lastenheft Steuerbox« definiert wurde.
Die Steuerung der Ladevorgänge kann durch intelligente Messsysteme (Smart Meter) erfolgen, wie es in § 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) vorgesehen ist. Netzbetreiber können diese intelligenten Messsysteme nutzen, um den Energieverbrauch zu steuern und Netzengpässe zu vermeiden. Die Steuerung der Ladeinfrastruktur muss dabei den regulatorischen Vorgaben der Bundesnetzagentur folgen.
Eine marktliche Steuerung, etwa zur Teilnahme am Regelenergiemarkt, kann ebenfalls über diese Systeme abgewickelt werden. Dabei können Drittanbieter, wie Stromlieferanten oder Aggregatoren, die Steuerung übernehmen, sofern sie mit dem Netzbetreiber koordiniert sind.
Rückspeisefähiger Systemverbund – Messstellenbetrieb
Der Netzanschluss und Betrieb von bidirektionalen Ladesystemen erfordert die Einhaltung einer Reihe von gesetzlichen und technischen Anforderungen. Diese müssen bereits in der Planungsphase berücksichtigt und während der Installation und Inbetriebnahme geprüft werden (Abschnitt 8).
In der Planungsphase müssen bidirektionale Ladeeinrichtungen beim Verteilnetzbetreiber (VNB) gemeldet und genehmigt werden, sowohl für den Energiebezug als auch für die Rückspeisung. Der Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz) spielt dabei eine zentrale Rolle und ist abhängig von der Spannungsebene und Anschlussleistung der Anlage:
Niederspannung: Rückspeisefähige Systeme mit einer maximalen Leistung von über 30 kVA erfordern einen zentralen NA-Schutz. Kleinere Anlagen können integrierte Schutzvorrichtungen nutzen.
Mittelspannung: Hier übernimmt die Netzschutzeinrichtung die Aufgaben des NA-Schutzes.
Die fachgerechte Installation der Ladeinfrastruktur erfolgt gemäß den Bestimmungen der DIN VDE 0100. Es ist darauf zu achten, dass Ladeeinrichtungen mit einer Leistung von mehr als 4,6 kVA dreiphasig ausgelegt werden müssen. Internationale Normen, die die Sicherheit von bidirektionalen Systemen garantieren, befinden sich derzeit in der Entwicklung.
Die Inbetriebnahme von bidirektionalen Ladesystemen muss durch einen in das Installateurverzeichnis des Netzbetreibers eingetragenen Fachbetrieb erfolgen. Zudem ist sicherzustellen, dass alle Stromquellen der Anlage beim An- und Abschalten ordnungsgemäß getrennt werden.
Vor der Inbetriebnahme muss eine Prüfung gemäß DIN VDE 0100-600 durchgeführt werden. Wiederholungsprüfungen werden nach DIN VDE 0105-100 realisiert. Diese Prüfungen umfassen Sichtprüfungen, Messungen und Funktionsprüfungen, um sicherzustellen, dass das System ordnungsgemäß funktioniert.
Stromnetz und das Energiesystem
Die Auswirkungen des bidirektionalen Ladens auf das Stromnetz und das Energiesystem hängen maßgeblich von der Verbreitung und Akzeptanz dieser Technologie ab (siehe Abschnitt 7). Die Rückspeisung durch Elektrofahrzeuge bietet sowohl Vorteile als auch Herausforderungen für Netzbetreiber und Kunden.
Auswirkungen für das Netz
Die Speicherung von Energie in Fahrzeugbatterien und die Rückspeisung ins Netz entlasten das Netz, indem die Stromnachfrage zeitlich verschoben wird. Dies trägt dazu bei, Schwankungen in der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien auszugleichen. Allerdings führt die erhöhte Gleichzeitigkeit des Ladens und Rückspeisens zu einer höheren Belastung des Netzes, insbesondere in Zeiten hoher Erneuerbare-Energien-Einspeisung.
Um Netzengpässe zu vermeiden, müssen Netzbetreiber Steuerungsmöglichkeiten implementieren, die es ermöglichen, die Rückspeisung in Zeiten von Netzüberlastungen zu begrenzen. Der Mechanismus zur Steuerung der Lastspitzen, wie in § 14a EnWG beschrieben, sollte auf das bidirektionale Laden ausgeweitet werden.
Auswirkungen für den Energiemarkt
Das marktorientierte Rückspeisen (V2G) soll es ermöglichen, Energie zu Spitzenzeiten zu höheren Preisen ins Netz zurückzuspeisen und bei günstigem Angebot zu laden. Dadurch könnten die Fahrzeugbesitzer finanziell profitieren und gleichzeitig zur Systemintegration erneuerbarer Energien beitragen. Dieses Verhalten unterstützt die Netzstabilität und die Energiewende, kann jedoch in regionalen Netzen zu Engpässen führen, wenn viele Fahrzeuge gleichzeitig speisen.
Insgesamt bietet bidirektionales Laden ein erhebliches Flexibilitätspotenzial, insbesondere zur Stabilisierung des Tages- und Nachtrhythmus in der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Für saisonale Schwankungen, wie den höheren Strombedarf im Winter, ist das Potenzial jedoch begrenzt.
Für Schnellleser
Bidirektionales Laden bietet Vorteile, steht aber noch am Anfang der Entwicklung
Der VDE-FNN-Hinweis »Laden und Rückspeisen von Elektrofahrzeugen aus Sicht des Stromnetzes« ist herunterladbar unter: www.vde.com/de/fnn/dokumente/hinweise
Autor:
Dipl.-Ing. (FH) Michael Muschong, Redaktion »de«